Das Felsdach "Les Gripons" bei St-Ursanne wurde 1986 bei archäologischen Prospektionen auf dem zukünftigen Autobahntrassee der Nl6-Transjurane entdeckt. Die mittelsteinzeitliche Fundstelle wurde in 3 Kampagnen von 1987 bis 1989 ausgegraben. Die beschränkte Ausdehnung des Platzes ermöglichte die Anwendung von sehr präzisen Grabungstechniken. lm besondem wurden die Sedimente systematisch geschlämmt und die Funde bis zu 2mm Grösse eingesammelt.

Alle Schichtablagerungen des Abris erfolgten im Holozän, mit Ausnahme eines sterilen Depots an der Basis der Sequenz. Die Bedeutung der Fundstelle besteht in zwei vorneolithischen Besiedlungsphasen, welche einerseits ins Frühmesolithikum, andererseits ins Jungmesolithikum datieren.

Der älteste archäologische Horizont ist zugleich der bedeutendste, was sowohl den Erhaltungszustand als auch die Anzahl der Funde und Befunde betrifft. Die Steingerätindustrie ist gekennzeichnet durch eine Fülle von kleinsten Mikrolitheinsätze, eine grosse Anzahl von Kratzem und wenige andere Gerätetypen, vor allem retuschierte Lamellenabschläge. Die Einsätze werden klar dominiert durch ungleichschenklige Dreiecke, man findet aber auch einige gleichschenklige, sowie Segmente und Spitzen, letztere sind meist basisretuschiert sind. Die Knochenreste belegen, trotzt starker Fragmentierung und systematischer Verbrennung, die Jagd von Auerochse, Hirsch und Wildschwein, sowie vom Biber und verschiedenen Pelzträgem (Kleinnager). Ein Fischwirbel weist darauf hin, dass in den nahen Flussläufen auch gefischt wurde. Zahlreiche verbrannte Haselnussschalen weisen auf das systematische Einsammeln dieser Früchte hin.

Die räumliche Analyse der verschiedenen Fundkategorien erlaubte es mindestens einen Silexschlag- und Kratzerherstellungsplatz nachzuweisen. Die Gebrauchspurenanalyse legt die Verwendung dieser Kratzer zum Gerben oder für die Kürschnerei nahe. Alle diese Aktivitäten erfolgten um die zentrale Feuerstelle herum.

Die petrographische Untersuchung der Silexressourcen lässt erkennen, dass die mittelsteinzeitlichen Bewohner des Abris Les Gripons sehr bodenverbunden waren. Sie kannten die Rohstoffquellen in unmittelbarer Nähe zum Wohnplatz sehr gut. Nichts desto trotz erwarben sie hochwertigeren Silex aus der Umgebung von Olten. Es handelt sich dabei um den einzigen Hinweis für Kontakte über grössere Strecken. Der Mangel an anderen Fakten erlaubt es nicht dieser Fragestellung weiter nachzugehen. Mehrere C14-Daten setzten diese frühmesolithische Belegung in die erste Hälfte des Boreals, zwischen 9000 und 8500 BP, an.

Der Horizont der jüngeren Mittelsteinzeit ist wesentlich ärmer, da das Felsdach zu dieser Zeit nur noch aIs vorübergehender Rastplatz diente. Die Geräteindustrie besteht aus retuschierten Lamellen in Verbindung mit trapezförmigen Einsätzen. Die grosse Anzahl zerbrochener Lamellen weist auf eine mögliche Mikrolithherstellung hin. Dieses Jungmesolithikum mit Trapezen datiert in die zweite Hälfte des 7. Jahrtausends BP.

Vereinzelte archäologische Objekte belegen, dass der Abri noch im Laufe der Jungsteinzeit, der Spätbronzezeit, sowie in historischer Zeit begangen wurde.

Neben den Disziplinen, welche sich direkt mit dem Silexstudium befassen (Spurenanalyse, Petrographie), wurden mehrere Spezialisten bei der Analyse der archäologischen Schichten beigezogen (Geologe, Malakologe, Palynologe und Anthrakologe). Die Synthese ihrer Ergebnisse erlaubt es, die markanten Ereignisse der Geschichte, welche die Schichten des Felsdaches widerspiegeln, nachzuvollziehen. Ebenso konnte die natürliche Umgebung, in welcher die mittelsteinzeitlichen Bewohner lebten, rekonstruiert werden. Während des Boreals erfolgt die Entwicklung eines Laubwaldes (Haselnussstrauch, Linde und Ulme), in welchem allmählich Buche und Weisstanne auftreten. ln der unmittelbaren Umgebung des Abris überdauem die Reste eines Kieferngehölzes. Während des älteren Atlantikums fördern die erhöhte Temperatur und Feuchtigkeit das Wachstum eines dichten Waldes von wärmeliebenden Laubbäumen (Linde, Haselnuss, Eiche, Ulme, Esche). Auch die Eibe ist schon vorhanden, denn sie ist sehr stark unter den Holzkohlen vertreten.

Übersetzung: Ludwig Eschenlohr