Die in der Region Ajoie (Kanton Jura, Schweiz) durch den Bau der Autobahn A16 Transjurane verursachten Ausgrabungen führten zwischen 2001 und 2007 zur Entdeckung von insgesamt 13 Kalkbrennöfen auf sieben verschiedenen, von der römischen Antike bis ins 18. Jahrhundert datierten Fundstellen. Die bedeutendste Fundstelle ist Boncourt - Grand'Combes mit sieben Kalköfen (5 römerzeitliche, 1 frühmittelalterlicher, 1 neuzeitlicher) und mehreren geschotterten Wegstücken.

Alle untersuchten Kalköfen gehören typologisch zum einfachen Feldofen für den periodischen Brand, im Unterschied zu den späteren, kontinuierlich arbeitenden Schachtöfen. Auch wenn die Funktionsweise des Feldofens grundsätzlich gleich bleibt, verändert sich die Bauform im Laufe der Zeit. In römischer Zeit entsprechen die Brennöfen der Beschreibung bei Cato (De agri cultura). Es handelt sich dabei um vollständig in einen Abhang eingetiefte Gruben, bei denen die Feuerkammer von unten, durch einen Graben oder Stollen auf Höhe der Grubensohle befeuert und geschürt wird.

Seit dem Frühmittelalter werden in der Ajoie ausschliesslich nur noch Kalköfen verwendet, bei denen der Heizkanal in den oberen Teil des Feuerraums mündet. Dabei handelt es sich um teilweise ins anstehende Terrain eingetiefte Öfen, bei denen das Brennmaterial ebenerdig eingebracht wird. Erste Vorläufer dieses Ofentyps existieren bereits im 2./3. Jahrhundert, endgültig setzt er sich aber erst in nachrömischer Zeit durch.

Die Gründe, die zur Entwicklung dieses neuen Ofenmodells geführt haben, sind in der verbesserten Abzugsdynamik zu suchen. Beim von unten befeuerten Kalkofen steigt die Luft direkt nach oben. In der Feuerkammer des nur teilweise eingetieften Ofens jedoch zirkuliert der Luftstrom spiralförmig, der Zug verstärkt sich mit der zunehmenden Temperatur. In der Kalkkammer wird die Hitze an das Rohgestein abgegeben und die Luft durch Kanäle kaminartig nach aussen gesogen, was den Luftstrom zusätzlich verstärkt. Mit diesen Öfen konnten rasch hohe Temperaturen erreicht werden, allerdings auf Kosten eines hohen Brennholzverbrauchs.

Wie Ausbesserungsspuren zeigen, wurden die Kalkbrennöfen über längere Zeit regelmässig unterhalten, was besonders deutlich an den gallo-römischen Strukturen zu beobachten ist. In einer ersten Benutzungsphase bildet das umgebende Erdreich Boden und Wände der Feuer- und Kalkkammer. Danach ist eine Auskleidung der Grube mit einem Gemisch aus Lehm und Abfallmaterial von vorangegangenen Bränden (Kalkbrocken, gebrannter Ton, Holzkohle) festzustellen. Wurden nach weiteren Brandphasen diese Ofenwände brüchig, folgte eine Verstärkung mit Mantelmauerwerk, zumindest in der Sockelzone. In zwei Fällen sind solche baulichen Ausbesserungen ebenfalls für den Heizkanal und die Schnauze belegt. Die vorgenommenen Veränderungen haben bisweilen auch die Gestalt des Feuerraums sowie den darüberliegenden Aufbau des Gewölbes und der Kalkkammer zur Aufnahme des Rohgesteins beeinflusst.

Für die Neuzeit sind die Befunde weniger eindeutig, doch dürfen wir uns, zumindest für einen Teil dieser Kalköfen, den Brennraum zunächst als Erdgrube und erst in einer zweiten Benutzungsphase mit Mantelmauerwerk ausgekleidet vorstellen.

Die Auswahl des Standortes wurde in erster Linie durch die Topographie bestimmt, insbesondere bei den gänzlich eingetieften gallo-römischen Strukturen : die Anlage am Hang begrenzte die vorzunehmenden Erdarbeiten auf ein Minimum. Doch haben auch andere Kriterien, allen voran die Nähe zum Steinbruch eine Rolle gespielt. Auf den Jurahöhen und in den Tälern der Ajoje liegen die Kalkvorkommen häufig in geringer Tiefe direkt unter dem Waldboden und sind in Form von leicht spaltbaren Platten einfach abbaubar.

In den ausgedehnten Waldgebieten war zunächst genügend Brennmaterial vorhanden. Die anthrakologischen Analysen belegen für das 1. Jh.n.Chr. die annähernd ausschliessliche Verwendung von Buche als Brennholz. Für die Zeit des 2.-4. Jahrhunderts wird Eiche in unterschiedlichen Anteilen beigemischt. Für den Betrieb des neuzeitlichen Brennofens F7 in Boncourt (17.-18. Jahrhundert) wurde hauptsächlich Eiche verfeuert, ergänzt durch zahlreiche andere Holzarten, dem Buchenanteil jedoch kommt nur noch eine anekdotische Bedeutung zu. Möglicherweise entspricht diese Entwicklung einer Veränderung des Baumbestandes, wie es scheint war der Anteil an Buchen vor Beginn einer systematischen Waldwirtschaft am Ausgang des Mittelalters weit grösser.

Auf keiner der Fundstellen konnte eine Sumpfgrube nachgewiesen werden, weshalb anzunehmen ist, dass der gebrannte Kalk ungelöscht zur Baustelle transportiert wurde. Dies aus ökonomischen Überlegungen, denn mit einem Anteil von 20 % Wasser ist gelöschter Kalk voluminöser und schwerer, was die Transportkosten unnötig erhöht hätte. Der Branntkalk konnte mühelos auf der Baustelle mit Wasser gemischt und weiter verarbeitet oder in Kalkgruben bis zu mehreren Jahren gelagert werden.

Für den Transport von 22 Tonnen gebranntem Kalk (geschätzte Produktion des Kalkbrennofens von Chevenez-Combe Ronde) waren rund dreissig Lieferungen erforderlich. Daraus lässt sich die Bedeutung der Verkehrswege und die Lage der Brennöfen in unmittelbarer Nähe dazu ermessen. Eine Ausnahme bildet möglicherweise Boncourt, wo eine intensive und dauerhafte Kalkproduktion sogar zum Bau mehrerer Strassen oder Wege geführt haben mag.

Die frühesten archivalischen Hinweise zur Kalkbrennerei gehen ins 16. Jahrhundert zurück. Es sind Gesuche von Handwerkern oder Gemeinwesen an den Fürstbischof von Basel zum Bau von Kalköfen, die der Bewilligung bedürfen und Abgabepflichtig sind. Im Laufe des 18. Jahrhunderts verallgemeinert sich die, vereinzelt bereits aus dem vorangegangenen Jahrhundert bekannte Praxis der Herstellung von Branntkalk in Ziegel-Öfen. Wie es scheint, konnte dadurch eine deutliche Verbesserung der Rentabilität der Ziegeleien erreicht werden, gleichzeitig ist dahinter aber wohl auch der grundherrliche Wille erkennbar, die Kalkproduktion einem mit der Brenntechnik besonders vertrauten Handwerkszweig zu vergeben. In einer Zeit erhöhten Brennholzbedarfs zum Betrieb der zahlreichen Schmieden und Glashütten zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert geht aus den Quellen die stete Sorge der Fürstbischöfe um einen möglichst schonenden Umgang mit dem nur langsam nachwachsenden Rohstoff hervor.

Eine letzte Veränderung erfuhr das Handwerk in den 1780-1790 Jahren, vielleicht als Folge der Stillegung der Ziegel-Öfen, durch das Auftreten von wandernden Kalkbrennern aus dem französischen Jura. Diese stellten nunmehr im Auftrag der Gemeinden Branntkalk her, welche den Baustoff an die Bauherren weiter verkauften. Neben dieser spezialisierten Produktion haben auch lokale Mauermeister noch bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts Sumpfkalk hergestellt.

Übersetzung: Monika Kleiner